Bender - Hund ohne Namen findet ein Zuhause


27. März 2006


15 ½ Jahre lang hat mich mein Jack-Russel-Terrier Toulouse durch mein Leben begleitet. Er war ein kerniges, fast stets gut gelauntes, leicht bzw. schwer größenwahnsinniges Kerlchen – eben ein Terrier durch und durch – der trotz einer, in seinen letzten 4 ½ Jahren sehr schnell sehr gravierend gewordenen, Herzinsuffizienz stets eine enorme Lebensfreude hatte und allen dadurch viel Heiterkeit beschert hat. Diesen unbändigen Lebenswillen hat er erst in seinen letzten 5 Wochen verloren. Am 30. Juli 2005 hat sein überstrapaziertes Herzchen aufgehört zu schlagen.

Ich wußte schon immer, daß ich nach Toulouse nicht hundelos bleiben würde. Denn auch wenn ein Hund viel Verantwortung, Zeit und auch Verzicht auf so manches bedeutet … die unbändige Vorfreude eines Hundes auf seinen Spaziergang, seine liebenswerten Macken und seine bedingungslose Zuneigung entschädigen für alles.

Eines Tages stieß ich beim Stöbern im Internet auf „den Hund ohne Namen und ohne Zukunft“. Alleine diese Bezeichnung verursachte mir einen Kloß im Hals. Dieser süße Kerl auf dem Foto? Das kann doch gar nicht sein. Seine dazugehörige Geschichte vergrößerte den Kloß im Hals noch um einiges. Schon ca. 14 Jahre soll er alt sein, hat bereits 6 Jahre im Tierheim gesessen, wurde dann vermittelt, lebte auf einem Firmengelände, wurde dort dann irgendwann aber mehr oder weniger einfach vergessen, nicht wirklich gut behandelt und sollte dann wegen Schließung „seiner“ Firma eingeschläfert werden, weil er nicht mehr gebraucht wurde. Glücklicherweise gab es doch noch einen Menschen, dem er nicht egal war und der mit Hilfe des Tierarztes dafür gesorgt hat, daß dieser alte Hund – ungeliebt, dreckig, stinkend, klapperdürr – beim Tierschutz landete und nicht vorzeitig über die Regenbogenbrücke geschickt wurde. Und obwohl ich bereits von vielen unfaßbar traurigen Tierschicksalen gehört und gelesen hatte, fragte ich mich ein weiteres Mal: Wie können Menschen nur so grenzenlos herzlos sein?

Nun … zu diesem Zeitpunkt lebte mein Toulouse noch. Der Hund ohne Namen – seit er seine Stelle im Tierschutz gefunden hatte, nicht mehr wirklich ohne Namen, sondern Bender genannt – ließ mich jedoch nicht mehr los und ich verfolgte fortan die HP fast täglich, um über sein Schicksal auf dem laufenden zu sein. Wochen gingen ins Land und Bender blieb – auf der HP und in seiner Pflegefamilie. Leider allerdings auch Wochen, in denen es Toulouse immer schlechter ging … und dann war da dieser 30. Juli. Die Trauer und den Schmerz muß ich mit Sicherheit niemandem erklären, der sich bereits von einem Tier verabschieden mußte. Er hat seine verdiente letzte Ruhe im Garten gefunden und mein Vater hat sogar einen Stein mit seinem Namen graviert.

Eine weitere Woche vergeht, in der ich mich immer wieder frage: Bin ich schon bereit, einen neuen Hund aufzunehmen? Ich bin hin und her gerissen. Einerseits trauere ich noch um Toulouse, andererseits fehlt mir aber auch ein lebendiges Wesen in meinem Alltag. Und dann tue ich es doch viel früher, als ich es mir hätte vorstellen können … ich rufe Benders Pflegefamilie an. In diesem Telefonat gewinne ich den Eindruck, Frau Mumoth, Benders Pflegemami, versucht mich durch das Aufzählen von negativen Eigenschaften, die sich mir gar nicht als solche darstellen, da es lediglich Alterserscheinungen sind, mit denen ich wegen Toulouse bestens vertraut bin, von einem Kennen lernen Benders abzuhalten. Später sollte sich herausstellen, daß ich gar nicht so ganz falsch lag mit meiner Vermutung.
Jedenfalls sage ich Frau Mumoth, daß ich Bender trotzdem kennen lernen möchte und wir verabreden einen Termin für den nächsten Tag.

Freitags fahre ich nach der Arbeit zu Familie Mumoth. Frau Mumoth ist gerade mit Bender vor der Haustür und mein Herz hüpft beim Anblick dieses knuffeligen Kerls. Er allerdings ignoriert mich und folgt Frau Mumoth wie ein Schatten. Wir unterhalten uns sehr lange und es folgt die erneute Schilderung aller seiner Gebrechen … er kann keine Treppen laufen, er muß ins Auto gehoben werden, er hat Arthrose und kann keine stundenlangen Spaziergänge machen, er hört so gut wie nichts usw. Na und? Er ist halt alt. Außerdem hat er unbestreitbar ein recht penetrantes Mundgeruchproblem. Aber selbst das kann mich nicht schocken – ich kenne das von Toulouse. Und dann kommt Bender doch tatsächlich irgendwann zu mir, schaut mich mit seinem unglaublichen Blick an und möchte gekrault werden. Spätestens da hatte ich diesem alten Hund mein Herz geschenkt.

Ich fahre nach hause und denke nach. Aber nicht lange, dann greife ich zum Telefon und rufe wieder bei Frau Mumoth an. Ich frage sie, ob sie sich vorstellen könne, daß Bender demnächst bei mir wohnt. Oh Gott, was ist, wenn sie „Nein“ sagt, wenn sie glaubt, wir passen nicht zusammen? Ich juble innerlich als sie sagt: „Ja, das kann ich mir vorstellen!“ Also fahre ich genau eine Woche nach unserem ersten Kennen lernen wieder zu Familie Mumoth und wir gehen zusammen spazieren. Ich wundere mich, wie fit der „alte Hund“ noch ist und wie viel Freude ihm der Spaziergang macht … er sieht so lustig aus, wenn er läuft!

Da Bender nun schon 4 Monate bei Frau Mumoth war und, wie sie mir dann irgendwann anvertraute, ihr mittlerweile so sehr am Herzen lag, daß bisher kein Interessent ihre Zustimmung gefunden hatte (Da war die Bestätigung meiner ursprünglichen Vermutung!) und die Trennung daher dann doch nicht so leicht würde, vereinbarten wir noch zwei weitere Treffen. Bender hat mich dann noch einmal in seinem zukünftigen Zuhause besucht, wo er sofort begeistert von meiner Meerschweinchen- und Kaninchenbande im Garten war. Der nächste Besuch fand dann im Büro statt, wo Bender zukünftig seine Tage mit mir verbringen würde. Und dann kam die erlösende Frage von Frau Mumoth: „Wann soll Bender denn bei Ihnen einziehen?“ So vereinbarten wir den kommenden Freitag. Am 26. August 2005 fuhr ich dann nach Feierabend los, um den alten Herrn in sein endgültiges Zuhause zu holen.

Der einzige Zweifel, den ich während der ganzen Zeit hatte, war nur die Tatsache, daß Bender wie ein Schatten an Frau Mumoth klebte. Würde er mit einem erneuten Wechsel seiner Bezugsperson klar kommen? Aber ich hatte die Rechnung ohne den alten Mann gemacht. Zuhause angekommen, bewegte er sich in der Wohnung und im Garten, als wäre er schon immer da gewesen und da Frau Mumoth nun nicht mehr da war, war er fortan mein Schatten. So einfach war das für ihn.
Mittlerweile lebt Bender nun schon 7 Monate bei mir und ich habe es nie bereut, mich für diesen alten liebenswürdigen Kerl entschieden zu haben. Bender ist – so scheint es mir – der wohl unkomplizierteste Hund, den ich kenne. Er hat sich problemlos mit seinem neuen Leben arrangiert. Er geht auf jeden freundlich zu, liebt alle anderen Hunde und hat ganz schnell begriffen, daß meine Meerschweinchen und Kaninchen halt einfach da sind, aber keine Mahlzeit darstellen. Er begleitet mich jeden Tag ins Büro und hat sowohl hier als auch in der Nachbarfirma alle Herzen im Sturm erobert. Man kann ihn überall hin mitnehmen, sogar den wahrscheinlich ersten Restaurantbesuch seines Lebens hat er mit stoischer Gelassenheit hinter sich gebracht. Er ist einfach froh dabei zu sein. Da er nun aber gemerkt hat, wie schön es ist, nicht mehr alleine zu sein, hat er dann doch eine Macke entwickelt – ansonsten wäre er auch einfach viel zu gut für diese Welt – er mag nun auf keinen Fall mehr alleine bleiben. Dann bellt er wie wild und mag sich gar nicht mehr beruhigen. Auch wenn er nicht oft und schon gar nicht lange alleine bleiben muß, manchmal läßt es sich dann doch nicht vermeiden, man muß ja schließlich auch mal einkaufen gehen. Also drückt der alte Mann seit ca. 9 Wochen abends die Schulbank - „Alleine-Bleiben-Üben“ ist angesagt. Allerdings hat Bender diesbezüglich eine sehr eigene Meinung und stellte meine Geduld auf eine harte Probe ... wir sind nunmehr erst bei einer Viertelstunde ohne Bellen angekommen. Aber ich kann es ihm nicht verübeln und wir werden dieses kleine Problemchen in den Griff bekommen und es ändert rein gar nichts an meiner Meinung: Bender ist ein toller Hund und ich hoffe, sein Gang über die Regenbogenbrücke liegt noch in weiter Ferne!