Pflegestelle - wie konnte das passieren?


Dezember 2005


Mit einem Grinsen im Gesicht frage ich mich das jeden Tag aufs neue. Aber ich bin mehr als froh, daß wir damals im Mai Elvis kennen gelernt haben.
Eigentlich hieß der 5 bis 6 Monate alte Podenco- Husky- Mix „Cachorro Callero“. Weil wir uns das nicht merken konnten, taufte mein Mann den Hund eben um.
Elvis war ein total verschmuster und unheimlich sensibel Hund. Bei ihm im Zwinger saßen zwei mehr als selbstbewusste Bardino- Mix „Weiber“.
Elvis war eingeschüchtert, unterdrückt und unglücklich.
Nach dem Urlaub haben sowohl mein Mann als auch ich zwei Wochen vor uns hin gegrübelt.
Dann war für uns klar, Elvis mußte aus dem Zwinger raus. Wir würden ihn in Pflege nehmen und ein Zuhause für ihn suchen.
Dabei waren wir überhaupt nicht zur Hundehaltung geeignet. Beide gänzlich ohne Hundeerfahrung. Dafür hatten wir einen Kater.
Der Zaun um unseren kleinen Garten war viel zu niedrig.
Und wer sollte morgens aufstehen und dann auch noch im Regen mit Elvis Gassi gehen?
Aber gut.
Es war ja nur für kurze Zeit.
Überschaubar.
Außerdem war es Sommer.
Und Elvis mußte da raus.
Wir hatten gerade alles organisiert, was wir so zu brauchen glaubten, da kam ein Anruf.
Elvis hatte ein Zuhause gefunden.
Und jetzt?
Da standen wir mit Halsband, Leine, Futter, Kauknochen, Spielzeug, Hundekörbchen, und, und, und...
Extra hatten wir ein Gartentor in unserem Flur installiert, damit der Kater sich nach oben zurück ziehen konnte.
Alles war vorbereitet.
Und jetzt war Elvis vermittelt.
Doof.
Wir waren total enttäuscht. Mit diesem Gefühl hatten wir nicht gerechnet.
Und so zog eben ein anderer Hund bei uns ein.
Das Abenteuer Pflegestelle begann.
Für uns, für unseren Kater und für den Hund.
Wir mußten heraus finden, welche Bedürfnisse der Hund hatte. Und dabei hatten wir überhaupt keine Ahnung von Hundehaltung.
Das erste Bedürfnisse war, an das Eichenregal im Wohnzimmer zu pinkeln. Prima. Doch nach zwei Tagen war das Regal ausreichend markiert und somit gerettet.
Auch sonst kamen wir prima miteinander klar. Unser Kater war zwar kurzzeitig beleidigt. Aber nachdem er den Hund verhauen hatte, waren die Fronten geklärt.
Ansonsten lief alles viel besser, als wir gedacht hatten.
Kein Gekläffe, keine Geschäfte (mehr) im Haus, die Tapete blieb an der Wand und weder Türklingel noch Staubsauger sorgten für größere Aufregung bei unserem Gast.
Das Wetter spielte auch mit, so daß wir alle zusammen viel Spaß hatten.
Nie hätten wir gedacht, daß es so nett ist, einen Hund im Haus zu haben.
Nach knapp einer Woche, zog unser Gast aus.
Dann passierte wieder etwas, was wir nie vermutet hatten.
Wir waren einsam ohne den Hund!
Wir vermißten die Spaziergänge und verbrachten die Abende träge und Chips essend vor dem Fernseher.
Da wurde uns klar, wir wollten wieder einen Hund.
Gerne wurde unser Wunsch erfüllt.
Es klappte auch diesmal wieder ohne Komplikationen.
Der Hund kam. Der Kater erklärte die Regeln. Und alles war gut.
Immer neue Gäste kamen und zogen wieder aus. Immer einer nach dem anderen.
Dann kam der Abend, an dem mein Mann und ich uns mehr oder weniger darum stritten, wer denn die Leine halten durfte.
Da war klar, wir brauchten einen zweiten Hund.
Der kam, sah und siegte – allerdings nicht über den Kater, der nach wie vor der Boß in unserem Haus war und ist.
So genossen wir das Leben mit unseren vierbeinigen Gästen.
Bald wurden aus zwei Pflegehunden vier. Jeder von uns hat schließlich zwei Hände, und kann beim Spaziergang zwei Hunde Gassi führen.
So hatten wir plötzlich ein kleines Rudel hier.
Logisch, daß auch nicht mehr alles so glatt lief, wie bei unserem ersten Gast.
Allein das Geschäftsverhalten war mühsam.
Neue Hunde verwendeten erst mal unser Wohnzimmer, um ihre Geschäfte zu erledigen.
Morgens mußte ich erst mal wischen und desinfizieren.
Nicht unbedingt die Lieblingsbeschäftigung – und dann auch noch VOR dem ersten Schluck Kaffee, damit die Bande nicht durch läuft und großflächig im Raum verteilt.
Es kam auch immer mal wieder zu „Schneetreiben“ im Haus, wenn eine Klopapierrolle zerfetzt oder das Sofa auseinander genommen wurde.
Und auch die Tapete bekam das eine oder andere Loch.
Und die Blumenbeete in unserem Garten haben schon vor langer Zeit aufgehört zu blühen.
Dafür blühen hier jetzt die Hundeseelen auf.
Wir leben in einem Hundehaus.
Hier fühlen sich die Hunde aus den Tötungen im sonnigen Süden wohl.
Sie können wieder Vertrauen zu uns Menschen fassen.
Sie erkennen, daß das Leben lebenswert ist.
Sie lernen – zum ersten Mal in ihrem Leben – Liebe und Geborgenheit kennen.
Sie lernen, daß Menschenhände nicht nur schlagen, sondern auch streicheln können.
Und sie lernen praktische Dinge wie an der Leine laufen, Geschäfte draußen erledigen, Auto fahren, etc.
Sie glauben gar nicht, wie schnell diese Hunde begreifen, was wir von Ihnen erwarten.
Wie sehr sie sich bemühen, alles richtig zu machen und uns zu gefallen.
Wir lieben diese Hunde.
Jeden Einzelnen.
Und dann kommt der Moment, vor dem wir uns schon fürchten, wenn der Hund gerade bei uns eingezogen ist.
Es kommt der Augenblick, an dem Interessenten zur Tür herein kommen.
Der Moment, in dem uns klar wird, daß unser Gast nicht länger unser Gast ist.
Dann kommen die Tränen.
Ans Abschiednehmen gewöhnt man sich nie.
Das ist der schwerste Augenblick im Leben einer Pflegestelle.
Und gleichzeitig auch der Schönste.
Denn wieder einmal hat es ein Hund aus einer Perrera geschafft, ein neues Leben anzufangen. Ein glückliches Leben.
Und so dreht man sich mit Tränen in den Augen weg, greift zum Telefon und gibt grünes Licht für den nächsten Hund – wohl wissend, daß man wieder ganz von vorne anfangen muß, wenn der neue Gast im Hause eintrifft.
Dennoch tun wir es.
Gerne.
Immer und immer wieder.