Learning to fly



Als wir Sonntags vom Spaziergang mit unserer Hündin Lady kommen, finden wir zwei verwaiste Jungvögel. Hilflos liegen sie in der prallen Sonne, kaum Federn am Laib, schon von Insekten bedeckt, klagevoll piepsend. Das Nest ist nicht zu entdecken und auch von den Vogeleltern ist nichts zu sehen. Also wird der Tierarzt angerufen. Danach steht fest, die kleinen brauchen Hilfe und wir sind stolze Vogeleltern. Also wird ein provisorisches Nest organisiert (seitdem zählt mein Haushalt eine Salatschüssel weniger) und eine Dose Nass-Hundefutter (Danke für die Spende Lady) zusammen mit Ei verabreicht. Ach ja, mein Freund ist seitdem Spezialist im Fliegenfangen. Der kleinere der beiden hat noch die Augen zu und machte den Schnabel nicht auf. Behutsam öffnen wir den Schnabel und versuchen ihn zu füttern, aber er nimmt das Futter nicht mehr an. Er stirb leider am nächsten Morgen. Unter Tränen wird er im Garten beerdigt.
Der größere reißt permanent den Schnabel auf. Er frisst und frisst und frisst. Am nächsten Morgen nehme ich ihn in einem kleinen Karton mit zur Arbeit.


Alle 30 Minuten wird gefüttert. Nachmittags werden nach ausgiebiger Beratung im Zoofachhandel Mehlwürmer gekauft. Die sollen angeblich als Alleinfutter ausreichen. Im Internet erfahre ich anschließend, dass Mehlwürmer zu Mangelerscheinungen, Gefiederdefekten und Verdauungsstörungen führen. Aber es gibt ein Nestlingsfutter der Firma Claus, welches all die wichtigen Nährstoffe für einen Jungvögel enthält (getrocknete Insekten und Kleinkrebse, Backwaren, Beeren, Früchte, Speisefett, Vitaminvormischung und Kalk). Dazu gibt es zwei Heimchen und einen Mehlwurm. Es wird problemlos vom Vogel angenommen. Futter (mit Einwegpinzetten aus Plastik) und ganz wichtig Wasser (mit Pipette) wird von 6 Uhr bis 22 Uhr gegeben.
Und wieder bricht ein neuer Tag an. Der kleine Namenlose scheint gewachsen zu sein, die Federn sprießen. Ich finde, er sieht aus wie eine Amsel, aber sicher bin ich mir nicht. Auf der Arbeit bekomme ich zu den Fütterungszeiten immer Besuch. So was macht hier schnell die Runde. Ein Name muss her. Vorschläge wie Üwie (vom Kollegen Uwe), Hase, Leopold, Süße und Schreihals werden in den Raum geworfen. Aber alle wissen, Denise lässt sich mal wieder was blödes einfallen. Kosenamen wie Pupsgesicht, Stinkefuss und Elsbeth Bremse habe ich ja bereits vergeben. Da ich als Kind Dr. Snuggles gerne geschaut habe, taufe ich den Vogel auf den Namen Mathilde Dosenfänger. Tja, da sind alle platt. Es gibt wohl keine Amsel auf der Welt, die so heißt!!! Sie ist also einmalig.


Die Woche vergeht wie im Fluge. Mathilde begleitet mich jeden Tag zur Arbeit, wächst und gedeiht. Die Fütterungsintervalle dehnen wir auf eine Stunde aus. Plötzlich springt sie aus dem Karton. Ein größerer Karton muss her. Auch dort fühlt sich Mathilde Pudel(Amsel-) wohl. Nach der Fütterung hüpft Mathilde putzmunter über meine Tastatur und legt sich in meinen Schoss um zu schlafen. Sie sucht die Nestwärme. Es ist immer schwierig einen einzelnen Vogel ohne Fehlprägung auf den Menschen großzuziehen. Wir beschließen es nicht rauszufordern, sie aber auch nicht abzuweisen.
Freitags hat Mathilde einen Termin beim Tierarzt, sie erfreut sich bester Gesundheit.


Anschließend macht sie zu Hause ihre ersten Flugversuche in der Kiste. Da sie schon super Springen kann, kommt sie ab sofort in einen Käfig. Auf dem Boden wird ein Handtuch gelegt, der als Nestersatz angenommen wird. Ein paar Stangen und frische Äste, sowie ein Brutnest, wenn Mathilde mal nach „oben“ geht, werden noch eingebaut. Ab jetzt haben wir Urlaub. Und weiter geht´s. Mathildes Gefieder „explodiert“ über Nacht. Jetzt hat sie sogar Federn am Allerwertesten. Am Sonntag ist es soweit, Mathilde nimmt Anlauf und schwebt mindestens zwei Sekunden in der Luft. Jippie, sie fängt an zu fliegen!!!
Auch Lady ist nicht vor ihr sicher, stört sich aber nicht an Mathilde.


In der Urlaubswoche wird Mathilde flügge. Immer rascher geht es voran. Sie verbessert ihre Flugkünste und nutzt meinen Kopf als Landebahn. Auch das Baden klappt jetzt wunderbar. Man braucht Mathilde nur zu rufen und mit den Fingern im Wasser zu plantschen und schon kommt sie angeflogen und nimmt ein ausgiebiges Bad.


Dies ist besonders wichtig, weil das Federkleid noch nicht mit Fett aus der Bürzeldrüse imprägniert ist und das Gefieder beim Baden noch stark durchnässt. Und noch etwas geschieht, Mathilde fängt ihr erstes Heimchen. Seitdem wird fleißig trainiert. Heute ist Mathilde genau zwei Wochen bei uns. Soeben hat sie zum ersten Mal etwas Trockenfutter selbstständig gepickt. Mensch, was haben wir uns gefreut!!! Und noch etwas: sie ist von sich aus und selbstständig in ihren Käfig gegangen...