Von immer hungrigen und manchmal höflichen Hunden

Dienstag Abend, 18.15 Uhr: Das kleine schwarze Boxermixmädchen hat Hunger. ES setzt sich neben SIE und begibt sich alsbald mit leichter Abstützung am Schreibtischstuhl in Erdmännchen-Stellung – natürlich mit gesenktem Kopf, so kommt der leidende Blick einfach besser zur Geltung. SIE spricht die immer gleichen, lästigen Worte: „Es ist noch ein wenig Zeit meine Maus, lege Dich noch ein wenig hin und warte.“ SIE hält dies für eine sinnvolle Erziehungsmaßnahme, ES fragt sich, ob SIE denn gar keine Ahnung von der Bedeutung des Wortes „Hunger“ habe.

18.25 Uhr: ES wartet noch immer im Liegen. Ab und zu richtet ES seinen fast unwiderstehlichen Hundeblick in IHRE Richtung. SIE tut so, als bemerke SIE dies nicht und muss doch jedes Mal grinsen, wenn ES seinen Kopf mit einem Schnaufen wieder ablegt.

18.30 Uhr: Endlich steht SIE auf, holt den Apfel, den Quark und das Trockenfutter heraus und tut von allem etwas in den Napf. Der Prinz liegt gelangweilt im Wohnzimmer und hebt beim Klickern des Futters in seinen Napf das eine Ohr ein wenig an. „Komm Niko, mein Schatz, schau mal in Deinen Napf!“ Der Blick des Prinzen bedarf keiner weiteren Erläuterung und macht die noch folgende Frage „Niko, möchtest Du denn gar nichts fressen?“ völlig überflüssig.

18.40 Uhr: ES hat seinen Napf leer gefressen und inzwischen auch die Apfelfitzelchen und Quarkkleckse von seiner Futtermatte und dem angrenzenden Boden säuberlich entfernt. Auf dem Weg zum Wohnzimmer schaut ES quasi beiläufig in den noch gefüllten Napf des Prinzen, tut aber rasch so, als hätte ES sich lediglich verlaufen, als aus dem Wohnzimmer ein mahnendes „Meliiina!“ erklingt.

19.10 Uhr: Da ER zum Abendessen nicht zuhause sein wird, kocht SIE heute mal vegetarisch: Reis mit Gemüse und ein wenig Butter. ES ist begeistert, als die beiden Leckerei-Schüsselchen gefüllt und zum Auskühlen zur Seite gestellt werden, der Prinz hat den Wohnzimmerteppich noch immer nicht verlassen. Während des Essens werden sich beide, wie immer, unter den Tisch legen und vorbildlich benehmen.

19.35 Uhr: „Niko, mein Schatz, schau mal in Deinen Napf!“ Während ES die Diele mittels eines ca. 30 cm hohen Reis-Gemüse-Geysirs in eine einzige große Futterstelle verwandelt, schaut der Prinz mit sehr langem Hals, das Gewicht auf die Hinterpfoten verlagert, vorsichtig um die Ecke, um seine Schüssel – von der nichts Gutes auszugehen scheint – aus gebührendem Abstand zu beäugen. Die Nase wittert: Reis mit Gemüse und … nichts. Es ist nicht leicht auszumachen, ob sein Blick von Entsetzen oder Enttäuschung bestimmt wird.

19.40 Uhr: ES hat auch das letzte Reiskorn in der Diele aufgesaugt. Der Prinz steht noch immer fassungslos in der Küche. ES nähert sich dem noch immer gefüllten Leckerei-Schüsselchen des Prinzen bis auf einen Meter und versucht nun offensichtlich angestrengt, das leckere Essen mittels Teleportation in ihre Nuffelschnute zu befördern. … SIE kann das alles nicht mehr mit ansehen, nimmt sein Schüsselchen in die Hand und hält ihm ein kleines Stückchen Broccoli vor die Nase: „Probier doch mal mein Süßer, es ist auch Butter dran!“ Aus purer Höflichkeit greift der Prinz mit spitzen Zähnen das Gemüse, begibt sich auf den Teppich im Wohnzimmer und lässt es dort erst einmal fallen. Nach einer Weile kaut er, die Lefzen leicht nach oben gezogen, darauf herum. Derweil sitzt ES neben IHR, mit flehentlichem Blick, die Ohren nach vorn geneigt. Natürlich bekommt auch ES ein Stückchen Gemüse, verschluckt es und lässt den Blick nicht mehr vom Schüsselchen und IHRER Hand. Nachdem er das Broccolihäppchen endlich verschluckt hat, trollt sich der Prinz zurück in die Küche und nimmt jetzt gnädig, im Wechsel mit dem kleinen schwarzen Boxermixmädchen, die Reis- und Gemüse-Fingerfood-Häppchen zu sich, die SIE den beiden reicht.

19.50 Uhr: SIE hat inzwischen die auf dem Boden verstreuten Reis- und Gemüsereste aufgewischt und schnell noch ein wenig die Küche aufgeräumt. Nun versucht SIE, auf den wenigen Stellen des Sofas, auf denen weder Prinz noch Boxermixmädchen liegen, eine einigermaßen bequeme Liegeposition einzunehmen. Die Binsenweisheiten „Handfütterung verbessert die soziale Bindung zwischen Mensch und Hund.“ und „Wie der Herr so das Gescherr!“ gehen IHR durch den Kopf. … Und SIE sieht schon vor sich, wie ER später am Abend Niko sanft auf die Schulter klopfen und sagen wird: „Recht hast du, mein Kleiner! Hätte die Natur gewollt, dass du Gemüse frisst, hätte sie dir lange Ohren, lange Zähne und ein Stummelschwänzchen gegeben!“



(Originalaufnahme am Abend des Geschehens – in der anderen Hand hält SIE das Schüsselchen)


Es spielten:
Der Prinz - Niko - Noriko aus Tirnau
ES - Melina - Eloisa aus Almendralejo